Nach Hackerangriff auf EMA: Keine Verzögerung bei Impfstoff-Entscheidung

Die EMA will trotz Hackerangriff planmäßig über mögliche Corona-Impfstoffe entscheiden. Auch in den USA steht demnächst das Votum über die Zulassung an. Experten versuchen, eventuelle Bedenken wegen Nebenwirkungen auszuräumen.

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Der Hackerangriff auf die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) soll keinen Einfluss auf den Zeitplan haben, nach dem das Institut über mögliche Corona-Impfstoffe entscheiden will. „Ich kann Sie beruhigen. Das wird den Zeitpunkt der Auslieferung der Impfstoffe nicht beeinflussen“, versicherte EMA-Direktorin Emer Cooke. Ihre Behörde sei „voll funktionsfähig“.

Die EMA hatte am Mittwoch bekannt gegeben, dass sie Ziel eines Cyberangriffs geworden war. Über das Ausmaß der Attacke hält sich das Institut unter Verweis auf die eingeleiteten Ermittlungen aber bedeckt. Auch wer hinter dem Hackerangriff stecken könnte, ist noch unklar. Die EMA sprach lediglich von „einigen Dokumenten“, die die Hacker abgegriffen hätten. Diese stünden im Zusammenhang mit dem Zulassungsantrag, den die Unternehmen Biontech und Pfizer für ihren Wirkstoff eingereicht hatten.

Auch der Mainzer Konzern Biontech hatte die Cyberattacke bestätigt. Auf die Computersysteme beider Pharmaunternehmen hätten der oder die Täter aber nicht zugreifen können. Es seien auch keine Daten von Probanden abgegriffen worden, die an den klinischen Studien der Firmen teilgenommen hatten.

EMA-Chefin zeigt Zuversicht für Zulassung

Cooke betonte, die Experten ihrer Behörde prüften derzeit Tag und Nacht die Testergebnisse, um über eine Zulassung des Corona-Impfstoffes zu entscheiden. Das solle Ende des Monats geschehen: Für den 29. Dezember sei ein Treffen der EMA mit Vertretern aller Arzneimittelbehörden aus 27 EU-Mitgliedsstaaten angesetzt. Auch das US-Unternehmen Moderna strebt eine Zulassung seines Corona-Impfstoffes in der EU an. Hierüber will die EMA etwas später entscheiden, voraussichtlich bis spätestens zum 12. Januar.

Schon jetzt äußerte sich die EMA-Chefin zuversichtlich, was die Zulassung des Impfstoffes von Biontech und Pfizer betrifft. „Es gibt mehr als 30.000 Daten von Probanden der klinischen Studie. Damit haben wir eine sehr robuste Grundlage für eine Entscheidung mit Blick auf Sicherheit und Wirksamkeit“, sagte Cooke in einer Ausschusssitzung des EU-Parlaments. Das garantiere aber nicht zwangsläufig ein positives Ergebnis der Überprüfung. In einem TV-Interview, das Cooke am Mittwoch in den Niederlanden gegeben hatte, versicherte sie aber, die EMA sei „immer überzeugter“ von den ihr vorliegenden Testergebnissen der klinischen Studie.

FDA-Ausschuss will heute beraten

In den USA könnte die Entscheidung über den Impfstoff von Biontech und Pfizer bereits in den kommenden Tagen fallen. Das Votum liegt hier bei der Arzneimittelbehörde FDA. Noch am Abend soll der unabhängige Beraterausschuss für Impfstoffe zusammenkommen, um eine Empfehlung zu dem Wirkstoff auszusprechen. Diese bildet voraussichtlich die Grundlage für das endgültige Votum der FDA. Schon am Dienstag hatte die Behörde eine Stellungnahme veröffentlicht, in der sie keine Bedenken gegenüber eines Einsatzes des Impfstoffes äußerte. Untersuchungen hätten keine Probleme hinsichtlich der Sicherheit und Wirksamkeit des Vakzins ergeben.

Am selben Tag startete Großbritannien die ersten Massenimpfungen mit dem Wirkstoff von Biontech und Pfizer. Das Land hatte Anfang Dezember als erstes weltweit den Impfstoff für die breite Anwendung zugelassen. Kurz darauf folgte die Zulassung in Bahrain, gestern sprach auch Kanada die Zulassung aus. Heute entschied auch die Nahrungs- und Arzneimittelbehörde in Saudi-Arabien für den Wirkstoff. Impfungen sollen für Bürger des Königreichs kostenlos sein, auch wenn sie im Ausland leben. Bis Ende 2021 will Saudi-Arabien 70 Prozent seiner Bevölkerung gegen Covid-19 geimpft haben, wann die ersten Impfungen erfolgen sollen, steht aber noch nicht fest.

Allergische Reaktionen auf Impfungen

In Großbritannien standen bei den ersten Impfungen Risikogruppen im Vordergrund. Vor allem ältere Bewohner in Alten- und Pflegeheimen erhielten die Spritze mit dem Vakzin, aber auch medizinisches Personal. Dabei traten in drei Fällen Nebenwirkungen auf. Zunächst hatte der Gesundheitsdienst NHS berichtet, bei zwei seiner Mitarbeiter seien infolge der Impfung schwere allergische Reaktionen aufgetreten. Bei einem weiteren Fall werde noch geprüft, inwiefern der Impfstoff eine mögliche allergische Reaktion ausgelöst habe. Mediziner sprechen hierbei von Anaphylaxie, also einer Überreaktion des Immunsystems. Das kann von leichten Hautreaktionen bis hin zum anaphylaktischen Schock und im schlimmsten Fall sogar zum Tod führen.

Daraufhin sprach die britische Aufsichtsbehörde eine Warnung aus: Menschen, die in der Vergangenheit starke allergische Reaktionen auf Impfungen, Medikamente oder Lebensmittel gezeigt haben, sollten sich vorerst nicht gegen das Coronavirus impfen lassen. Später wurden Formen der Lebensmittelallergie von der Warnung aber wieder ausgenommen.

Biontech und Pfizer hatten nach eigenen Angaben Menschen, die in der Vergangenheit unerwünschte Reaktionen auf andere Impfungen oder Wirkstoffe gezeigt hatten, von der abschließenden Phase III ihrer klinischen Studie zum Corona-Impfstoff ausgeschlossen. Den Unternehmen zufolge wurde das Vakzin an mehr als 30.000 Probanden getestet. Dabei sei eine Wirksamkeit von 95 Prozent gegen eine Covid-19-Erkrankung bestätigt worden. Auch bei diesen Tests traten Nebenwirkungen auf, darunter starke Müdigkeit oder Kopfschmerzen. Davon war aber nur ein geringer Anteil der Probanden betroffen.

Experten entwarnen: Nebenwirkungen im Normalfall „völlig harmlos“

Die Nebenwirkungen in Großbritannien dürften auch bei denn Beratungen der FDA und der EMA eine Rolle spielen. Experten allerdings beruhigen, darunter auch der Gründer des Tübinger Unternehmens Curevac, das an einem ähnlichen Impfstoff arbeitet wie dem von Biontech und Pfizer. Ein Immunsystem könne auch mal „explodieren“, sagte Ingmar Hoerr im Interview mit dem Sendern RTL und ntv. Auch stärker allergische Reaktionen könnten durchaus mal auftreten. Das könne man aber „in den Griff kriegen“, auch durch die Einnahme bestimmter Medikamente. In der Regel seien die Nebenwirkungen bei Corona-Impfungen aber „völlig harmlos“, ähnlich wie bei einer Grippeimpfung.

Spahn hofft auf Impfstart spätestens im Januar

In Deutschland bereiten sich die Bundesländer bereits darauf vor, groß angelegte Impfaktionen durchführen zu können. Impfzentren werden erbaut, erste Tests für Massenimpfungen absolviert. Doch ohne die Zulassung der EMA bleibt ein möglicher Impfstart weiter offen.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat seine Erwartungen schon etwas nach hinten verschoben. Hatte er vor zweieinhalb Wochen die Bundesländer noch aufgerufen, ab Mitte Dezember für Impfungen bereit zu sein, hieß es Anfang dieses Monats, vielleicht könnten zum Jahreswechsel die ersten Impfungen verabreicht werden. Zuvor hatte Pfizer angekündigt, zunächst nicht so viele Impfstoffdosen ausliefern zu können wie geplant. Der Grund seien Probleme in der Lieferkette.

In der ARD-Talkshow „Maischberger“ am Mittwochabend sprach Spahn dann davon, dass wohl spätestens im Januar losgelegt werden könnte mit dem Impfen. Bis zum kommenden Herbst hofft der CDU-Politiker, dass genügend Impfstoff für die gesamte deutsche Bevölkerung zur Verfügung steht: „Wenn all die Zulassungen kommen über den Zeitraum, in dem wir es erwarten, dann können wir spätestens im dritten Quartal jedem in Deutschland, der geimpft werden will, ein Impfangebot machen.“ Deutschland habe sich 300 Millionen Impfstoffdosen bei verschiedenen Herstellern gesichert.

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