Schere und Kleber – statt Feder und Tinte

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Quelle: Stadt Münster

Abendlesung beim Lyrikertreffen mit Carolin Callies, Herta Müller und Eugene Ostashevsky / Folge 4

Seit 40 Jahren reisen Lyriker und Lyrikerinnen aus dem In- und Ausland zum Internationalen Lyrikertreffen an, das vom Kulturamt der Stadt Münster und vom Literaturverein Münster veranstaltet und von der Kunststiftung NRW gefördert wird. In ihrem Gepäck: Strophen und Verse. In diesem Jahr gehören auch Instrumente dazu. Warum dem so ist und worauf man sich freuen darf, verraten wir in dieser fünfteiligen Serie.

Gedichte, die wie Erpresserbriefe aussehen, dazu Gespräche zwischen einem Piraten und seinem Papagei sowie eine Lyrikerin, die Schatullen und Bredouillen im Gepäck hat:  So sieht einer von zwei großen Leseabenden im Theater Münster beim Lyrikertreffen aus.

Herta Müller braucht zum Dichten eine Schere. Die 65-jährige Nobelpreisträgerin durchsucht Zeitungen und Zeitschriften, birgt einen Wortschatz aus vermeintlichem Altpapier. Macht daraus „Neupapier“: Sie befreit die Wörter aus ihren Rahmen und Sätzen und schenkt ihnen ausgeschnitten und neu arrangiert eine andere Bedeutung, ein neues Leben. Am heimischen Küchentisch schnitt sie zunächst die Wörter aus. „Ich legte sie aufs Hackbrett, damit man sie, wenn wir essen wollten, aus der Küche wegtragen kann. Doch Wörter expandieren. Deshalb musste ich einen großen Tisch für sie benutzen, einen quadratischen, um den man herumgehen kann, damit man sie alle sieht“, so sagt es Herta Müller im Vorwort ihres erst kürzlich veröffentlichten Buches „Im Heimweh ist ein blauer Saal“.

Herta Müller wurde 1953 im Banat geboren, wo ihre Familie zur deutschen Minderheit in Rumänien gehörte. Der Großvater besaß eine Landwirtschaft in einem kleinen Dorf. Im Jahr 1987 verließ sie Rumänien, floh vor der Partei-Diktatur, die sie mit zahlreichen Verhören und Bedrohungen unter Druck setzte.

„Im Heimweh ist ein blauer Saal“

Ihre Erfahrungen und Eindrücke sowie die Folgen der kommunistischen Diktatur verarbeitet sie in ihrer Lyrik. „Der Reim kommt noch dazu. Aber man darf ihn der Collage nicht ansehen, er darf sich nicht vordrängen. Obwohl er der Motor im Satz ist, müssen die Sätze so klingen, als ob sich der Reim von selbst ergeben hätte. Er hat für mich eine große Intimität und er hat ein Mitspracherecht. Er kann trauern, zwinkern, er kann sich auch über den ganzen Text lustig machen. Er bestimmt Takt und Rhythmus, weil er Zeilen zusammenbindet und er trägt den Klang. Er ist wie ein Wächter, aber er ist auch ein Schelm, einerseits diszipliniert er, andererseits katapultiert er den Text, wohin er will“, heißt es weiter in „Im Heimweh ist ein blauer Saal“. Aus diesem Band wird Herta Müller nicht nur lesen: ihre Collagen aus den Zeitungsschnipseln werden als Projektionen zu sehen sein. Sie haben ihren ganz eigenen Charme – und sind im Ansehen eigene Kunstwerke.

„schatullen & bredouillen“

Carolin Callies liest in Münster aus dem Gedichtband „schatullen & bredouillen“, der in diesem Jahr ihrem Debüt „Fünf Sinne & nur ein Besteckkasten“ folgte. Dass sie Gedichte mag, hat Callies schnell herausgefunden. Sie schrieb mit 13 Jahren ihre ersten Verse und wünschte sich zum 15. Geburtstag Gedichtbände von  Else Lasker-Schüler und Christa Reinig. Heute, mit 38 Jahren, ist sie Mutter, Ehefrau, Moderatorin, Herausgeberin, Autorin und lebt mit ihrer Familie und zwei Katzen in Ladenburg bei Heidelberg.

„Der Pirat, der den Wert von Pi nicht kennt“ und dessen Papagei sind die beiden Protagonisten in der Lesung mit Eugene Ostashevsky und seinen beiden deutschen Übersetzerinnen Monika Rinck und Uljana Wolf. Für den gleichnamigen Gedichtband erhalten sie am Sonntag, 26. Mai, zum Abschluss  des Lyrikertreffens, im Erbdrostenhof den Preis der Stadt Münster für Internationale Poesie.

Von Urheberrecht und Tierintelligenz

Die drei werden von ihrer Arbeit am Gedichtband berichten und sich gemeinsam mit Pirat und Papagei auf eine originelle Sprach-Reise begeben, deren inhaltliche Stationen lauten: Urheberrecht, kapitalistische Ideologie, kolonialistische Ethnografie, Tierintelligenz, Philosophie, Erstkontakt-Narrative.

Termine:

Lesung mit Carolin Callies, Eugene Ostashevsky, Herta Müller, Samstag, 25. Mai, 20 Uhr, Theater Münster, Kleines Haus, Neubrückenstraße

Verleihung des Preises der Stadt Münster für Internationale Poesie, Sonntag, 26. Mai, 11 Uhr, Erbdrostenhof, Salzstraße 38

Info: www.lyrikertreffen-muenster.de, Karten an der Theaterkasse,  (02 51) 59 09-100

Quelle: Stadt Münster

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